Am späten Wacken-Mittwoch geht bereits nichts mehr. Aufgrund schon seit Tagen anhaltender Regenfälle stehen neben dem Infield auch einige Zelt-Arreale dezimetertief unter Wasser, weshalb die Veranstalter irgendwann die Reißleine ziehen und mehrere Campingplätze sperren. Neu ankommende Autos werden nicht mehr aufs Gelände gelassen, zahlreiche Besucher müssen ihre erste W:O:A-Nacht auf auswärtigen Ausweichparkplätzen oder in Parkhäusern verbringen, bevor sie mit Shuttle-Bussen (oder zur Not auch Treckern) ins „Holy Wacken Land“ gebracht werden. Doch die allermeisten Metalheads lassen sich davon die Laune nicht verderben, feiern sogar noch, wenn gerade die letzte saubere Unterhose in der blubbernden braunen Brühe versunken ist, und prosten bei jeder Gelegenheit der W:O:A-Crew zu, die fast rund um die Uhr via Pipelines Modderseen bis in den Nord-Ostsee-Kanal pumpt und Sand in den „Nationalpark Wackenmeer“ kippt. Ab Freitag wird das Wetter dann glücklicherweise langsam besser, am Samstag kommen sogar Nichtschwimmer und Sonnenanbeter auf ihre Kosten.
Der erste vollwertige W:O:A-Tag beginnt nicht nur meteorologisch, sondern auch musikalisch eher durchwachsen. Als U.D.O. und das angenehm lockere Siegburger MUSIKKORPS DER BUNDESWEHR mit durchaus originellen Metal-meets-Klassik-Versionen von Gassenhauern wie ´Heart Of Gold´ oder ´Man And Machine´ loslegen, scheint der Start ins Wochenende geglückt zu sein, doch spätestens nach dem Gastgejaule einer Opernsängerin (Udo: „Mit diesem Song haben wir nichts zu tun!“) flacht die Qualitätskurve dramatisch ab. Dirkschneiders Ansagen werden immer unterkühlter, die neuen Arrangements der U.D.O.-Songs mit jedem Takt waghalsiger und kitschiger (´Cut Me Out´, auweia...), und als dann irgendwann ein Akkordeonspieler rustikal herumzuschwofen beginnt und russische Volksweisen angestimmt werden (mit Bundeswehrsoldaten vor einer russischen Fahne...), fängt Kollege Peters („das ertrage ich nicht länger!“) nachvollziehbarerweise an, hektoliterweise Met in sich hineinzukippen.
Deutlich mehr Spaß machen da IN EXTREMO. Die großartige Setlist umfasst ausschließlich festivaltaugliche, größtenteils eher härtere Hits (´Erdbeermund´, ´Spielmannsfluch´, ´Nur ihr allein´, ´Küss mich´), und schon nach wenigen Takten singen Zehntausende jede Zeile mit, tänzeln durch die immer tiefer werdenden Güllepfützen oder setzen komplett verdreckt zu schlammspritzenden Crowdsurf-Attacken an. Wacken ist auf einen Schlag wieder 100 Prozent Wacken, und die Mittelalter-Metaller stellen einmal mehr unter Beweis, dass sie immer noch zu den besten Stimmungsgaranten im Live-Zirkus gehören.
Ganz im Gegensatz zu ROB ZOMBIE. Der hat es zwar nach wie vor drauf, mit einer routinierten Dicke-Buxe-Ami-Show zu beeindrucken, der Funke will heute allerdings nur ansatzweise überspringen, was nicht nur daran liegt, dass der olle Zottel bis auf die üblichen, höllisch laut runtergeschrubbten White-Zombie-Gassenhauer ´More Human Than Human´ und ´Thunder Kiss ´65´ keine wirklichen Hits am Start hat. Da ein Teil der Bühnenaufbauten am Zoll hängen geblieben ist und auch die Technik zwischendurch schwächelt, verschlechtert sich Herrn Zombies Laune zusehends, bis er schließlich jeden um sich herum anscheißt, nur noch Coverversionen wie ´School´s Out´, ´Enter Sandman´ oder ´Blitzkrieg Bop´ anstimmt und den Gig viel zu früh beendet.
Der Unmut im Publikum hält sich allerdings in Grenzen, zu groß ist die Vorfreude auf das, was um Punkt 21:45 Uhr auf der linken der beiden Hauptbühnen seinen Anfang nimmt. Nach einem coolen Emerson-Lake-&-Palmer-Intro weinen plötzlich gestandene Männer, als Jon Oliva, Chris Caffery, Johnny Lee Middleton, Al Pitrelli und Jeff Plate mit ´Gutter Ballet´ fulminant losbrettern. Zwölf Jahre sind seit der letzten SAVATAGE-Show vergangen, lange sah es danach aus, als sei die Power-Metal-Legende endgültig Geschichte, und nun ist die alte Magie wie auf Knopfdruck wieder da. Mit ´24 Hrs. Ago´ wird´s sogar noch ein wenig kultiger, bevor Zak Stevens erstmals den stimmlich gut aufgelegten Jon Oliva ablöst und ´Edge Of Thorns´ veredelt. Klassiker folgt auf Klassiker, ´In The Hall Of The Mountain King´ wird von den nassen, aber überglücklichen Fans genauso abgefeiert wie ´Jesus Saves´ oder ´Dead Winter Dead´.
Doch kaum sind die heruntergeklappten Kinnladen wieder aus dem Sumpf gezogen, zünden die Amis schon den nächsten Turbo. Auf der linken Bühne wird es dunkel, auf der rechten hell, und das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA, mit dem der Großteil der Savatage-Besetzung seit Jahren gutes Geld verdient, reißt einen perfekten Rock-Musical-Set runter. Die Songs kennen große Teile des Publikums zwar gar nicht (einige sind eh noch unveröffentlicht), was von der sehr dynamischen Choreografie des Profi-Ensembles, den zahlreichen niedlichen Musikerinnen (Kollege Jaedike fordert umgehend für nächstes Jahr eine Soloshow der quirligen Geigerin – gerne auch ohne Geige...) und den herausragenden Lead-Stimmen allerdings mehr als aufgefangen wird. Insbesondere die gerade mal 22-jährige Kayla Reeves schafft es, dem US-typisch ein wenig klinischen Spektakel die für europäische Ohren nötige rotzige Bodenständigkeit unterzumischen.
Der dritte und längste Teil des Gigs sprengt dann endgültig alle Dimensionen. Savatage und TSO verteilen sich auf beide Bühnen, die teils fast schon wie 3D-Filme wirkenden Videosequenzen werden jetzt auf neun (!) gewaltigen Leinwänden hinter, neben und zwischen den Stages gezeigt, Licht, Laser, Feuer und Rauch zaubern in allen Winkeln wie bei einer Broadway-Show, sogar auf den Bühnendächern zischen Pyros. Und Musik wird auch weiterhin gespielt. Etwas mehr Savatage-Material, vor allem von den ersten sechs Alben, wäre zwar schön gewesen (und ´Handful Of Rain´ hätte heute natürlich thematisch prima gepasst), doch mit u.a. ´Turns To Me´, ´Another Way´, ´Mozart And Madness´, ´Believe´, ´Chance´ und ´Christmas Eve´ inszeniert man immerhin noch ein paar Sava-Nummern in fulminanten Double-Stage-Versionen inklusive gewaltiger Chor-Arrangements und makelloser Clicktrack-Synchronisation. Bei der umwerfenden Version des ewigen Geheimtipps ´Morphine Child´ brechen dann die letzten bislang noch nicht gebrochenen Dämme, wenig später darf man noch über ein hundert Meter hohes Feuerwerk staunen. Den tollsten Showeffekt des Abends gibt es allerdings für kein Geld der Welt zu kaufen: Pünktlich zum großen Finale um Mitternacht tritt direkt zwischen beiden Stages der volle Mond aus den Regenwolken hervor. Paul O´Neill hätte den Effekt nicht besser planen können. Jetzt fehlt zum ganz großen Glück nur noch ein Savatage-Auftritt auf dem Rock Hard Festival... (mr)
Jens Peters läuft auch am Tag nach der fetten Savatage/TSO-Show, für die Produzent Paul O´Neill mal eben zwei Millionen Dollar aus der Portokasse spendiert hat, mit ´ner Megalatte rum, was natürlich bis zu einem gewissen Grad an den extrem schnieken Begleitmusikerinnen und Tänzerinnen gelegen haben könnte. Als wir dann noch den beschwipsten Sabaton-Boss Joakim Brodén treffen, der sich zwar tierisch ärgert, dass er Udo Dirkschneiders Auftritt mit dem Bundeswehrorchester verpasst hat, uns aber begeistert von der bevorstehenden Panzer-Show seiner eigenen Band erzählt, gründet Herr Peters umgehend ein Projekt namens Savaton („Mit jeder Menge Flötenspielerinnen ohne Höschen und einem Dutzend Tanks!“). Klingt schon mal vielversprechend. Oomph!-Frontmann Dero wäre zumindest in Sachen Humor ein prima Gastsänger. Als wir ihm vor seinem Gig hallo sagen, fallen neben ihm auf der Sitzbank ein paar schulterlange blonde Haare auf. „Die sind von einer Frau, die gerade ein Interview mit uns geführt hat“, grinst der Sänger. „Sie war wohl unten ohne.“ Herr P. bekundet umgehend Interesse an der Telefonnummer der Dame.
Bands haben natürlich am Freitag auch einige gespielt: SEPULTURA um Gitarrist Andreas Kisser (laut unserer Conny der attraktivste Metalmusiker überhaupt) verkünden über das digitale Backdrop ihr 30-jähriges Jubiläum, verlassen sich aber überwiegend auf die typischen Tribal-Groover der Post-Thrash-Ära. Motörheads ´Orgasmatron´ hätte man sich angesichts des nicht gerade kurzen Katalogs der Brasilianer schenken können, doch die Meute hüpft begeistert durch den Schlamm. Es ist nicht nur ansehnlich voll, sogar die Sonne wirft einen kurzen Blick auf das Geschehen. Wunderdrummer Eloy Casagrande kann echt alles und lässt das gesamte Schlagzeugpodest wanken. Bassist Paulo Pinto Jr. hingegen wirkt wie ein auf die Pension wartender Beamter, der mal eben für ein Stündchen sein Schreibtisch-Schläfchen unterbricht. Dafür ist er nach der Show der besoffenste Musiker im Backstage.
Anschließend treten KVELERTAK gegen die POODLES an. Der strenge Blick von Herrn Peters wäre gar nicht nötig gewesen: Ich hatte eh vor, zu den Poodles zu gehen, zumal es von der W:E:T Stage (haha...) nicht mehr so weit zu dem leckeren Crêpes-Stand im Wackinger Village ist, zu dem sich auch der Weg durch den streckenweise wirklich knietiefen Matsch lohnt (wenn man ihn packt; ich bin auf halber Strecke in Richtung Nordsee abgetrieben worden... - mr). Die Schweden haben im Lauf der Jahre diverse latent plüschige Hairspray-Hits eingestielt und kaum was mit diversen skandinavischen Glamrock-Realsatirikern zu tun, die beim nächsten Trend eh schon wieder von Bord springen. Sie sleazen durch das modderige Zelt, posen solide und verleiten selbst Kuttenträger mit Nifelheim-Patches zu Ansätzen von Ausdruckstanz. Highlight ist der Megaohrwurm ´Night Of Passion´. Etwas irritierend, wenn auch Genre-üblich sind die Fake-Backings der Herren Pontus Egberg (b.) und Henrik Bergqvist (g.) (Herr Peters: „Das sind die besten zwei Typen, die vierstimmig singen können“). Am souveränsten ist Frontmann Jakob Samuel, der wie ein junger, blonder John Corabi wirkt. Wer nach dem Gig dennoch mit ihm verwechselt und um Fotos gebeten wird, ist klar...
Die TRUCKFIGHTERS sind ein Paradebeispiel dafür, dass man im Stoner Rock Anspruch und Punch verbinden kann. Einige kompositorische Widerhaken werden von dem frisch-energischen Gesang abgefedert. Das Zelt ist begeistert.
Dann heißt´s draußen tatsächlich Sommer, Sonne, STRATOVARIUS. Man steht immer noch bis zu den Knöcheln in der Gülle, von oben kommt jedoch zumindest temporär nur noch Schönes. Der Sound ist bei den Finnen zwar vom Winde verweht, so dass man überwiegend Gesang und Drums hört, das ist aber nicht der totale Beinbruch, da die Stücke vor allem von den Vocals getragen werden und mal wieder auffällt, wie gut Timo Kotipelto notfalls bei Helloween aufgehoben wäre. Die alten Dauerbrenner laufen gewohnt anständig rein, auch der neue Song ´Shine In The Dark´ (und leider nicht, wie ich zunächst verstehe, ´Shagging In The Dark´) kann was.
Aber das ist trotzdem alles Kindergarten gegen die folgenden Anspruchs-Acts. QUEENSRYCHEs Todd La Torre singt einfach alles in Grund und Boden. Egal ob alte Tate-Nummern (ganz besonders geil: ´Warning´, ´Eyes Of A Stranger´ und ´The Whisper´) oder der brandneue Uptempo-Hit ´Arrow Of Time´: Der kleine Kerl agiert in einer eigenen Liga. Ebenfalls supergeil ist das Lehrbuchdrumming von Scott Rockenfield, das auch Motörheads Mikkey Dee interessiert an den Bühnenrand lockt.
Noch so ein Kinnladenrunterklapper ist ANNIHILATOR-Mainman Jeff Waters. Der Gitarrist (und inzwischen auch mal wieder Leadsänger) packt die Kabinettstückchen im Akkord aus, ist als alleiniger Frontmann zwar etwas unbedarft – vor allem tut er sich schwer, technisch bedingte längere Pausen zwischen den Songs mit ein paar lockeren Sprüchen zu überbrücken –, wirkt aber angenehm kumpelmäßig. Für ´Set The World On Fire´ holt man Dream Theaters Mike Mangini auf den Drumhocker, der sich schon mal für seine spätere eigene Mega-Performance aufwärmt. Speedgranaten wie ´Welcome To Your Death´ sind allerdings die Highlights des Sets.
Dadurch ist der Stilbruch zu OPETH umso krasser, die parallel Schoten wie ´The Devil´s Orchard´ dudelproggen. „Wir stimmen jetzt unsere Gitarren runter, um böser zu klingen“, feixt Chef Mikael Åkerfeldt. Seine Truppe hört sich trotzdem überwiegend an wie ´ne Räucherstäbchen schwenkende Hippie-WG. Genau dieses Herzlich-Familiäre kommt jedoch sehr sympathisch rüber, so dass Opeth gut abgefeiert werden, obwohl sie nach ihrer Show nicht sonderlich happy mit ihrer Performance sind. (jj)
Die anschließende Pause nutzen wir, um einen kleinen Abstecher ins Wackinger Village zu machen, wo seit Jahren ein buntes Alternativ-Programm für all diejenigen geboten wird, denen die Menschenmengen vor den Hauptbühnen zu viel sind. Kollege Rensen ist von der Ankündigung, dass seine alten Kumpels von Blind Guardian im kommenden Jahr nach längerer Abwesenheit mal wieder ein Gastspiel auf dem Acker geben werden, zwar ohnehin schon ganz freudetrunken, schwebt aber spätestens jetzt im siebten Himmel. Logisch, dass es von da an kaum noch ein Halten für unseren live-rollenspielenden Chefredakteur gibt: Der Tausendsassa fährt beim traditionellen Schweinshaxenwettessen einen Sieg gegen den ungefähr anderthalb Köpfe größeren, deutlich bärtigeren und zudem reichlich grimmig dreinblickenden schwedischen Wikinger Wulfgar ein, feiert seinen Triumph im Anschluss standesgemäß mit anderthalb Litern Met (aus dem Trinkhorn, versteht sich), erobert die Herzen der Damenwelt beim Minnegesang-Contest im Sturm – und entschwindet freudestrahlend in Richtung Wackinger Stage, um bei FEUERSCHWANZ „mal ´ne Runde crowdsurfen zu gehen“. Von da an ward unser Redaktions-Rotschopf nicht mehr gesehen. Wir hoffen, dass er bei Loreley, „einem echten Bild von einer Frau“ (O-Ton Rensen), die seit der „reichlich betörenden“ Minne-Performance nicht mehr von seiner Seite weichen will, in guten Händen ist. Sachdienliche Hinweise zum Verbleib des Trunkenbolds (gerne mit ergänzendem Bildmaterial) bitte an leserbriefe@rockhard.de. (Alternativ könnt ihr auch Herrn Peters´ rechte Hand schicken, falls ihr es schafft, sie ihm abzuhacken – zur Belohnung gibt´s von mir zwei Liter Kräutertee und fünf meiner leckersten Gemüseburger - mr)
Da Rensen unauffindbar ist, verpasst er blöderweise auch den Auftritt seiner Lieblings-Progger DREAM THEATER. Kollege Jaedike (der sich einen alkoholfreien Cocktail nach dem anderen reinhaut und heute Waldorf und Statler in Personalunion gibt) und ich springen in die Bresche – und treffen auf dem Balkon an der Seite der Hauptbühne den Schauspieler Martin Semmelrogge („Bang Boom Bang“, anyone?), der sich die Show zusammen mit ´nem Kumpel reinzieht. Letzterer hat in seinem Leben noch kein Metal-Konzert besucht und ist vom W:O:A im Allgemeinen und Mike Manginis Drumkit im Speziellen völlig geflasht. Und auch sonst gibt´s während des Gigs gar Merkwürdiges zu beobachten: Die Crew hat hinter der Verstärkerwand auf der rechten Bühnenseite, gut versteckt vor den neugierigen Blicken des Publikums, einen kleinen Verschlag aufgebaut, in den sich James LaBrie während jeder längeren Pause (und davon gibt´s in ´nem Dream-Theater-Set für den Sänger bekanntlich so einige) zurückzieht. Selbst uns bleibt verborgen, was der Mann in der geheimnisvollen, auch von oben nicht einsehbaren Konstruktion treibt. Da er sich aber jedes Mal an der Hose rumfummelt, wenn er eilig aus dem Kabuff gestürmt kommt, hat er sich wohl entweder den Orden für die „schlimmste Ferkelei“ oder den „größten Einsatz“ des Festivals verdient. Mehr dazu hoffentlich im nächsten Interview.
Feines Kontrastprogramm wird im Anschluss auf der benachbarten Black Stage geboten: Statt ellenlanger Keyboard-, Drum- und Gitarrensoli gibt´s hier... ausschließlich ellenlange Gitarrensoli. So toll Zakk Wylde sein Instrument auch beherrscht und so großartig er mir als Ozzy-Sidekick für immer und ewig in Erinnerung bleiben wird, mit den Shows und vor allem dem Songmaterial von BLACK LABEL SOCIETY werde ich, da bin ich mir ziemlich sicher, auch in Zukunft nicht mehr warm werden. Jan geht´s übrigens genauso – im Gegensatz zu mir hat unser Quoten-Veganer aber die Möglichkeit zu flüchten. Logisch, dass er davon Gebrauch macht und sich mit einem breiten, schadenfrohen Grinsen in Richtung Tofu-Gyros-Stand empfiehlt. Mir bleibt hingegen nichts anderes übrig, als im Stillen vor mich hin zu fluchen und zu beten, dass der drahtige Bursche mitsamt seinem Triple-X-Tattoo entweder im schlammigen Treibsand, in den sich der Wacken-Acker inzwischen verwandelt hat, versinkt oder an der trockenen Pampe, die er sich reinzuziehen im Begriff ist, erstickt, während ich mir den Rest der Show anschaue. Den traurigen Höhepunkt des Sets bildet eine ziemlich mittelmäßige Ballade, für die Zakk seinen Sechssaiter gegen ein Piano eintauscht und während der ein Foto von Dimebag Darrell (R.I.P.!) an die Wand projiziert wird. Na ja, wem´s gefällt...
Dass IN FLAMES, die heute auf der ersten Headliner-Position spielen, live im wahrsten Sinne des Wortes nix anbrennen lassen, dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein. Der Göteborg-Fünfer eröffnet sein Konzert locker-flockig mit Konfettiregen, beeindruckendem Feuerwerk und ´Only For The Weak´. Während andere Bands mit Freuden das eine oder andere Körperteil dafür geben würden, um so einen Track als Zugabe spielen zu können, haben Anders Fridén (der als Kontrast zum Rest der Band komplett in Weiß gekleidet ist) und seine Kollegen genug hochklassiges Material in petto, um während ihrer gut 75-minütigen Show keine Langeweile aufkommen zu lassen. Und überhaupt sind In Flames 2015 die leibhaftige Definition von Breitwand-Entertainment: Das Konzert ist vom ersten bis zum letzten Ton durchchoreografiert, die Lichtshow eine der besten auf dem diesjährigen W:O:A und der Sound nahe an der Grenze zur Perfektion. Dass die Show trotzdem nicht steril wirkt, weil die Jungs sichtlich Spaß an dem haben, was sie tun, spricht natürlich umso mehr für sie.
Wer vor einigen Jahren an gleicher Stelle den vermeintlich letzten Auftritt von RUNNING WILD gesehen hat, dürfte im Vorfeld des Reunion-Gigs berechtigte Bedenken gehabt haben: 2009 verabschiedeten sich Rock´n´Rolf und seine Mannen mit einer Mischung aus Kasperletheater und musikalischem Gestümper, die die einstmalige Klasse der deutschen Metal-Urgesteine mit viel gutem Willen allenfalls noch erahnen ließ. Umso erfreulicher, dass die Burschen nach ein paar Jährchen Pause tatsächlich zu alter Form zurückzufinden scheinen. Rolf und der Rest seiner inzwischen größtenteils ausgetauschten Mannschaft wirken ausgeruht, haben sichtlich gute Laune und Spaß an der Performance. Man könnte an dieser Stelle zwar meckern, dass die Band zu viele Songs von den letzten beiden Alben spielt und Klassiker wie ´Branded & Exiled´, ´Prisoner Of Our Time´ und ´Raise Your Fist´ deswegen außen vor bleiben, aber insgesamt ist das, was Running Wild da bieten, schon sehr, sehr solide. Man darf gespannt sein, wie sich die Band in Zukunft entwickeln wird – der Gig macht jedenfalls Bock auf mehr. (jp)
Rain Or Matsch, letzter Akt. Inzwischen haben sogar die Gummistiefel kapituliert und lösen sich auf in ein klägliches Häufchen Zellstoff. Stecken gebliebene Schuhe, etliche Sanitäter-Einsätze und selbstgebastelte Schutzkleidung aus Mülltüten und Gaffa-Tape singen ein Liedchen von den Ereignissen der letzten Tage. Zum Glück hat Rob Halford offenbar beim Kollegen Wettergott ein gutes Wort eingelegt: Die Sonne lässt sich ganztägig blicken und verwandelt die modderige Pampe zunächst in zähflüssigen braunen Kleister, dann in etwas Bodenähnliches.
Während Kollege Peters vormittags noch fieberhaft nach seiner Hose sucht, die er gestern angeblich beim, ähem, Schlammcatchen verloren hat, starten auf der W:E:T Stage VICTIMS OF MADNESS mit einem irrwitzigen Potpourri aus Coversongs von Death- bis Power Metal den Weckruf für alle mutigen Wattwanderer. 2002 von Mitgliedern des Wacken-Forums gegründet, gehört der bunte Haufen stetig wechselnder Musiker inzwischen schon zum kultigen Inventar des W:O:A. Mit ´Fields Of Fame And Glory´ hat die irre Combo, für die gemeinsames Proben ein Fremdwort ist, diesmal sogar einen eigenen Song am Start – natürlich ein Tribut ans Festival.
Leicht verschroben, aber mit vollem Einsatz rock´n´rollen sich BLACK SPIDERS an gleicher Stelle in die Gehörgänge der anwachsenden Zuschauermenge. Der schräge Humor der Briten trifft den Nerv der wettergeschädigten Meute, die den Herren Spider, Owl, Shark, Fox und Tiger auf eigenen Wunsch zu den Klängen von ´Stay Down´ unisono den Stinkefinger zeigt und ihre Begeisterung mit einem fröhlichen „Fuck you, Black Spiders!“ unterstreicht. Tierisch unterhaltsam, dieser Wanderzirkus aus Sheffield.
Tierisch geht es auch auf der True Metal Stage zu, wo POWERWOLF mit ihren Jüngern die „einzige heilige Heavy-Metal-Messe Europas“ zelebrieren. Über Konzept und Musik der spirituellen Werwolf-Bande lässt sich sicherlich streiten. Fakt ist aber, dass die Power-Metaller aus Transsilvanien (oder so ähnlich) nicht nur astreine Musiker, sondern auch ebensolche Entertainer sind und ihr Publikum von den ersten Klängen des Openers ´Sanctified With Dynamite´ an voll im Griff haben. Die neuen Tracks ´Army Of The Night´ und ´Armata Strigoi´ werden ebenso frenetisch abgefeiert wie altbekannte Gassenhauer der Marke ´Resurrection By Erection´, während Fronter Attila Dorn mit seinen grenzdebil-genialen Ansagen sämtliche Schlammdämonen durch Lachsalven austreibt. Dass die Wacken-Meute auch tatsächlich vom Metal-Spirit erfasst wurde, muss sie aber erst mal beweisen. „Wenn ihr wirklich besessen seid, macht ihr Circle Pit rückwärts“, witzelt der Sänger, der seinen schrulligen Akzent eisern durchzieht. Gesagt, getan – da rutscht selbst dem Vollprofi ein reichlich unrumänisches „Scheiße, seid ihr geil!“ raus.
Hoppla, treten AMORPHIS da etwa mit neuem Frontmann an? Keine Panik, Tomi Joutsen hat sich lediglich von seinen charakteristischen Dreadlock-Peitschen verabschiedet. Zum Moshen reicht die Frise aber allemal, und musikalisch können den abgehärteten Finnen heute weder die Schlammlawinen der Vortage noch die Pyro-Salven etwas anhaben, die gleich zu Beginn ihrer ganz speziellen Show im Sekundentakt abgefeuert werden. Wieso speziell? Ein Jahr nach dem 20. „Tales From The Thousand Lakes“-Jubiläum lassen die Melo-Deather in Wacken feuchte Fan-Träume wahr werden, indem sie ihre Zeitmaschine anschmeißen und den Auftritt auf ihre zweite Studioscheibe aufbauen. Nicht zuletzt dank Esa Holopainens Gitarren-Feuerwerk ganz groß: das orientalisch eingefärbte ´The Castaway´ und die folkig-frostige Nummer ´Black Winter Day´. Darauf schnell noch ein paar Pyros. Und da nach dem Jubiläum bekanntlich vor dem Jubiläum ist, setzen die Nordmänner mit einem Drei-Song- Ausflug zum 1996 erschienenen Drittwerk „Elegy“ noch einen drauf. Schade nur, dass Amorphis ihrer Show fünf Minuten vor Spielzeit-Ablauf selbst ein Ende setzen. Findet selbst Sleazy Peters, der inzwischen samt Hose wieder aufgetaucht ist. (am)
Der Boden vor der True Metal Stage ist mittlerweile tatsächlich weitgehend trocken, und durch das locker verteilte Publikum lässt es sich bequem bis weit nach vorn schlendern, um DANKO JONES´ Rock´n´Roll zu lauschen: High-Energy-Rock in heißer Nachmittagssonne mit kühlendem Wind, was will man mehr? Die energetisch-routinierte Show belohnen die Zuschauer mit „Danko Jones!“-Rufen, was die Rampensau zum Kalauern verleitet: „Keep doing it for me and my mom! Er sei 2015 nach 2006 und 2011 das dritte Mal in Wacken, lässt der Vielredner sein Publikum wissen. 2011 hat er parallel zu Kreator gespielt – und das in Germany! So gering kann der Zuspruch dennoch auch vor vier Jahren nicht gewesen sein, denn: „I would like to play Wacken every year with all kinds of weather!“ So etwas hört man natürlich gern, doch schließlich fällt dem Kanadier doch noch wieder ein, warum er in Wacken ist, und er fordert sein geneigtes Publikum auf: „Watch a rock´n´roll band play some nice rock´n´roll! Der sympathischen Ansprache folgt eine erneut tighte Darbietung, und zum Hillbilly-Beat wird allenthalben mitgewippt, bevor wieder ein kraftvoller Rock-Song folgt.
BIOHAZARD müssen sich auf der Party Stage offenbar erst warmspielen und haben sich dafür ´Wrong Side Of The Tracks´ ausgesucht. Die anfänglichen Unstimmigkeiten stören weite Teile des Publikums wenig: Vom ersten Song an klatschen die Fans mit erhobenen Händen begeistert zu den Gangshouts und hüpfen vor der Bühne im Matsch. Der Schlamm ist hier vor der Party Stage übrigens immer noch knöcheltief. Bis der Sound gleichmäßigen Druck erzeugt, dauert es noch ein kleines Weilchen. ´Urban Discipline´ ballert dann ordentlich rein. Auch ´Chamber Spins Three´, ebenfalls vom – frech vermutet – erfolgreichsten Biohazard-Album „Urban Discipline“, zocken die New Yorker sauber runter. Vor der Bühne gibt es derweil NYHC-Kniestrümpfe in olivgrünen Gummistiefeln zu bestaunen – nicht schlecht. Nur das leichtfüßige Tanzen gerät damit eher zum Stolpern. Bei ´Tales From The Hard Side´ und ´Down For Life´ ist klar: Der fehlende musikalische Druck ist auch dadurch zu erklären, dass es vor der Party Stage viel leiser ist als vor den beiden Hauptbühnen. (gb)
Von da hört man nämlich schon von Weitem Gefiedel und Gegeige. Was man an einer Veranstaltung wie ROCK MEETS CLASSIC finden kann, wird sich mir wohl nie erschließen. Da werden Metal-Evergreens mit viel Bombast unterfüttert und hochkarätige Sänger wie Michael Kiske oder Dee Snider angekarrt, um Gassenhauer wie ´I Want Out´, ´We´re Not Gonna Take It´ oder ´I Wanna Rock´ zum Besten zu geben. Alle Beteiligten inklusive des kompletten Prager Bohemian Orchestra haben sichtlich Spaß, und der Menge an Zuschauern zufolge kann man sich nicht über mangelndes Interesse beklagen. Aber was soll hier eigentlich bewiesen werden? Dass Metal und die vermeintliche Hochkultur gut zusammenpassen? Dass die Qualität von Songs, die für zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug komponiert wurden, mittels Streicherbreitwand potenziert werden kann? Die Wahrheit ist: Hier versucht man sich unnötigerweise (aber vermutlich erfolgreich) bei Hörerschichten anzubiedern, die sich freitags irgendwelche Chart-Shows anschauen und Metal nur dann mögen, wenn er mit orchestraler Gleitcreme verabreicht wird. Insofern: ziemlich fürn Arsch. (ses)
Doch allmählich kommen wir dieser Metal-Sache wieder näher: Mit ´Let The Stillborn Come To Me´ eröffnen BLOODBATH ihren Gig. Die Bässe wummern durch Mark und Bein. Old Nick hat sich mit in der Sonne leuchtend roter Farbe übergossen und zollt der angenehm warmen Sonne mit einer riesigen Pilotenbrille Respekt. Die vor der Bühne verbliebenen Rock-Meets-Classic-Zuschauer hingegen zollen dem lupenreinen Death Metal Respekt, indem sie einfach abhauen. Im Moshpit tobt sich derweil ein kleiner, engagierter Fankreis aus. ´Breeding Death´ kommt wie alle Bloodbath-Songs an diesem Abend mit angenehm transparentem HM2-Sound, der sich wohltuend vom zuvor Gehörten absetzt. Zwar nicht vor ´Grand Morbid Funeral´, aber doch vor ´Cancer Of The Soul´ murmelt Nick Holmes ins Mikro, dass er diesen Song nicht auf dem Album gesungen hat. Das wiederholt sich noch einige Male. Das Publikum, belebt von Sonne und Bier, genießt die schwedische Brachialität oder wirft immer wieder zweifelnde Blicke zur Bühne. Nach ´Weak Aside´, ´Unite In Pain´ und ´Cry My Name´ kommt das 2006 ausgestiegene Gründungsmitglied Dan Swanö auf die Bühne und übernimmt den Gesang bei ´Eaten´ – zugegebenermaßen mit mehr Stimmvolumen als Nick Holmes, der ansonsten ein bezaubernder Bloodbath-Frontmann ist. (gb)
SABATON sind mittlerweile eine richtig große Nummer. Noch während Bloodbath nebenan auf der Black Stage rödeln, füllen sich die Reihen vor der True Metal Stage. Viel Sabaton-Merch und Festival-Shirts des bandeigenen „Noch ein Bier!“-Fests zeugen davon, dass der Quasi-Co-Headliner-Status der Schweden nicht zu hoch gegriffen ist. Das Selbstbewusstsein der Schweden kennt sowieso seit jeher keine Grenzen, und so wundert man sich auch nicht, dass zum Einstimmen ´The Final Countdown´ gerade groß genug ist. Als es dann mit ´Ghost Division´ losgeht, ist es auch keine Überraschung, dass die Band vom ersten Moment an abgefeiert wird. Zu Recht, denn die Performance ist erstklassig, und mit den beiden Panzern auf der Bühne sparen Sabaton nicht an optischer Schlagkraft. Was ein bisschen nervt, sind die etwas langatmigen und wenig witzigen Ansagen. Geborene Stand-up-Comedians sind die Schweden nicht. Auch die Lautstärke lässt ein wenig zu wünschen übrig. Den ganzen Gig hindurch sind „Lauter!“-Rufe im Publikum zu vernehmen. Doch spätestens mit den abschließenden Krachern ´Primo Victoria´ und ´Metal Crüe´ ist man versöhnt. Schön zu sehen, dass sich die jahrelange harte Arbeit der Band auszahlt. Auch wenn das kalkulierte Spiel mit Nationalismen nach wie vor einen Beigeschmack hat. (ses)
Im direkten Vergleich zu Sabaton wirkt CANNIBAL CORPSE´ hochvirtuoses Getrümmer ´Kill Or Become´ noch stumpfer als sonst, aber auch erhebend schön und pur. Trotz Corpsegrinders Bang-Spielchen hat sich nur ein vergleichsweise kleines Häufchen von Leuten vor der Party Stage im Schlamm versammelt. Am linken Bühnenrand überlagern Sabaton das Geschehen zudem lautstärkemäßig. (gb)
Danach ist es Zeit für den Headliner des Tages. Black Sabbath´ ´War Pigs´ in Gig-Lautstärke kündet davon, dass der mit einem riesigen JUDAS PRIEST-Logo versehene Vorhang gleich fallen wird. Das passiert nach dem kurzen Intro von ´Battlecry´ und zu den Klängen von ´Dragonaut´. Der Sound ist glasklar und vor allem superlaut. Bassdrum und Toms kommen wie Donnerschläge aus der P.A., und nach den ersten gesungenen Zeilen ist klar: Halford ist heute in Topform. Weiter geht es mit ´Metal Gods´ und ´Devil´s Child´, bevor die Briten mit ´Victim Of Changes´ ganz weit zurückblicken. Mit dem live erstaunlich gut funktionierenden ´Halls Of Valhalla´ geht es dann wieder mehr zur Sache, und ´Turbo Lover´ markiert das erste große Highlight des Gigs. Judas Priest sind heute in bestechender Verfassung. Richie Faulkner ist der jugendliche Aktivposten, Ian Hill legt gewohnt stoisch das Bassfundament, und Scott Travis thront hinter seinem riesigen Kit vor der die komplette Bühnenrückwand einnehmenden Videowand. Glenn Tipton ist ebenfalls voll dabei, obwohl auch an ihm die Jahre nicht spurlos vorbeigehen. Der Metal God hingegen gibt heute alles. Dass Halford zu jedem Song mit neuer Klamotte erscheint, ist Ehrensache, doch seine heutige Performance ist nicht mehr alltäglich. Zwar manövriert er sich um manche Stellen herum, aber wenn es drauf ankommt, gibt er richtig Gas. ´Painkiller´ hat man in den letzten Jahren vermutlich selten so gut gehört. Die Setlist ist mit Klassikern gespickt, und ´The Hellion/Electric Eye´, ´You´ve Got Another Thing Comin´´ oder ´Hellbent For Leather´ gibt es heute in Gänsehautqualität. Ein toller Schlusspunkt eines Festivals, das mit schwierigsten Wetterverhältnissen zu kämpfen hatte und das Beste daraus gemacht hat. Fürs nächste Jahr wünschen wir uns dann aber doch deutlich weniger Rain und viel mehr Shine. (ses)
In Wacken schafften es nur knapp, nicht als Moorleichen zu enden: Michael Rensen (mr), Jens Peters (jp), Alexandra Michels (am), Jan Jaedike (jj), Gretha Breuer (gb), Sebastian Schilling (ses) und Jens Nolte (Fotos).