Nur noch sechs Tickets an der Abendkasse – Alter-Bridge- und Slash-Sänger Myles Kennedy verkauft die Kantine fast aus und setzt damit deutlich mehr Karten ab als Duff McKagan vor einigen Wochen. Damit konnte man nicht rechnen, denn wer kennt den Multi-Instrumentalisten schon? Sollte man zumindest meinen, aber der Mann hat seine Fans; und die kommen an diesem Freitagabend mehrteilig in Pärchen-Formation.
Fast überall sieht man Männlein und Weiblein unterschiedlichen Alters, meist auch in T-Shirts von Alter Bridge. Auch Kennedys eigenes Merchandise findet guten Absatz, nur die benutzten Bass-Saiten bleiben Ladenhüter. Es scheint, als sei der 54-Jährige auch als Solokünstler angekommen.
Doch bevor er die Bühne mit dem großen Backdrop betritt, eröffnen CARDINAL BLACK den Abend. Die walisische Formation hat eine bewegte Vergangenheit: 2010 als The Tom Hollister Trio gegründet, vom ehemaligen Guns-N´-Roses-Manager Alan Niven gefördert und ein Jahr später wieder aufgelöst. Danach verdingen sich Tom Hollister (v.) als Tour-Manager, Chris Buck (g.) und Adam Roberts (dr.) als Session-Musiker. Als Bassist Sam Williams 2019 dazustößt, beginnt eine Erfolgsstory: ein gelobtes Debüt mit dem Titel „January Came Close" (2022), Touren mit Peter Frampton und Myles Kennedy. Den erwähnt Sänger Hollister auch während des knapp 40-minütigen Gigs, der in einer zehnminütigen Jam-Session endet. Die Band hat einen »fetten Typen« (O-Ton Hollister) als Sänger und einen Gitarren-Virtuosen an Bord, der die volle Kantine mehrmals zu Szenenapplaus verleitet. Der lässige Sound mit einer Mischung aus Soul, Blues und Jazz kommt gut an; auch der Headliner lobt später seinen Support-Act.
Dabei ist MYLES KENNEDY mit seinem dritten Soloalbum „The Art Of Letting Go“ nicht mehr wie auf den beiden Vorgängern im Singer/Songwriter-Genre unterwegs, sondern hat den harten Rock wieder für sich entdeckt. So startet der Abend mit zwei Stücken des neuen Albums, das auf Platz 36 der deutschen Charts eingestiegen ist. Man merkt dem Trio sofort das blinde Verständnis an: Drummer Zia Uddin und Bassist Tim Tournier spielen auf allen drei Kennedy-Alben. Ersterer ist ein Jugendfreund des Leaders aus Spokane, Washington, Tournier unter anderem Manager von Alter Bridge, Tremonti und Sevendust. Der Sound ist transparent und klar, nur die Stimme zu Beginn etwas zu leise, was den Mann am Mikro zu einigen Bewegungen in Richtung Mischpult veranlasst. Nach vier Songs hat sich das Ganze eingependelt, und Kennedys Mannen können aus dem Vollen schöpfen. Wer gedacht hat, sie verlassen sich auf Songs seiner Hauptbands, kennt den sympathischen Amerikaner nicht: Bis auf die Alter-Bridge-Ballade ´All Ends Well´ gibt es nur eigene Songs und mit dem Ende von ´Behind The Veil´ eine von vielen Demonstrationen der Gitarrenkünste des Frontmanns. Alter-Bridge-Gitarrist Mark Tremonti hat einmal behauptet, sein Sänger sei ein besserer Gitarrist als er. Könnte sein. Obwohl Kennedy vor Jahren als neuer Led-Zeppelin-Frontmann gehandelt wurde, wird er aber kein Entertainer mehr. Dafür ist er zu schüchtern und bescheiden. Die Leute jedoch goutieren die Konzentration aufs Wesentliche, die Musik – und die gewinnt in diesen 90 Minuten deutlicher als der FC zeitgleich gegen Münster.
Setlist MYLES KENNEDY:
The Art Of Letting Go
Nothing More To Gain
Devil On The Wall
A Thousand Words
Mr. Downside
Tell It Like This
Behind The Veil
All Ends Well
Love Can Only Heal
Wake Me When It´s Over
Miss You When You´re Gone
Year Of The Tiger
Get Along
In Stride
++++
Say What You Will